Tabu
Im Laufe meiner Recherchen bemerkte ich, dass es nicht nur ein Tabu gibt, über die Vulva zu sprechen oder sie darzustellen, sondern dass bereits die Tatsache, dass hier etwas tabuisiert wird, tabuisiert wird. Nahezu alle Bilder, die wir kennen, sind Produkte der Porno- oder Hygieneindustrie und nur die wenigsten davon sind wertschätzend, geschweige denn glorifizierend. Das war nicht immer so. In den meisten Mythologien gibt es Geschichten, in denen die Menschheit mindestens einmal durch die Präsentation der Vulva gerettet wird. Frauen konnten, indem sie ihre Röcke hoben, Tote erwecken und sogar den Teufel besiegen. Das weibliche Genitale wurde nicht etwa übersehen, sondern mit gewaltiger Anstrengung zuerst diffamiert und daraufhin verleugnet, bis zu der irrigen und irren Auffassung, die Vulva sei nicht der Rede wert.
Sprache
Das alte englische Wort „cunt“ etwa stellte die höchste Wertschätzung dar – heiliger Ort – und ist etymologisch eng mit „queen“, „kin“ und „country“ verwandt. Bezeichnenderweise ist „cunt“ heute das schlimmste Schimpfwort der englischen Sprache. Inzwischen ist das lateinische Wort „Vagina“ – oder auf Deutsch „Scheide“ – der am häufigsten gebrauchte nichtvulgäre Begriff.
Vagina
Die Vagina ist jedoch ausschließlich die Körperöffnung, die die Vulva mit den inneren Geschlechtsorganen verbindet. Das führt durchaus zu Irritationen, wenn man in Aufklärungsbüchern so erhellende Beschreibungen liest wie: „Eine der ersten Veränderungen in der Pubertät ist, dass dem Mädchen Haare um die Vagina herum wachsen.“ Jedes pubertierende Mädchen, das das mit einem Spiegel nachprüfen wollte, würde sich wahrscheinlich für einen anatomischen Freak halten.
Abgesehen davon, dass ein großer Teil des weiblichen Genitales mit einem Wort wie Vagina in der Sprache schlicht unsichtbar wird, hat es so auch keine eigenständige Bedeutung mehr, sondern ist tatsächlich nur ein Loch, in das der Mann sein Genitale stecken kann, oder um im Bild zu bleiben: eine Scheide für sein Schwert. Das ist keine tendenziöse Assoziation meinerseits, sondern der Grund, warum sich Anatomiker im späten 16ten und frühen 17ten Jahrhundert auf diesen Begriff geeinigt haben.
psychische genitale Verstümmelung
Die Analytikerin Harriet Lerner fasst das mit den Worten zusammen: „Es ist richtig, dass wir die Klitoris und die Schamlippen nicht mehr entfernen, wie das in anderen Ländern und Kulturen die Regel bei zahllosen Mädchen und Frauen ist. Statt dessen machen wir das linguistisch. – psychische Genitalverstümmlung, wenn man so will. Die Sprache kann genauso machtvoll sein wie das Messer des Chirurgen. Das, wofür es keine Worte gibt, existiert nicht.“
Im Laufe meiner Recherchen fand ich Verweise auf das weibliche Genitale plötzlich überall in der Literatur und Kunst des Abendlandes, also der Form, wie sich unsere Kultur sich selbst erklärt und darstellt – schließlich ist nichts so präsent wie das, was ausgegrenzt wird. Und Frauen kämpfen und kämpften schon immer um die Macht, repräsentiert zu werden.
Hier ein paar Vulvastrickmuster einer entzückenden politischen Aktion.
Das Ziel
meines Buches war es also nicht in erster Linie, das weibliche Genitale zu zeigen, sondern es zurück zu erobern und um zu definieren.